Spurensuche in Geflügelwurst »Das Zeug ist ekelhaft und minderwertig«
In diesem Film geht es um die Wurst – und die Industrie, die sie produziert.
Franz Voll, ehemaliger Metzgermeister
»Die Politik hat versäumt, was mir kleinem, blödem Metzger eingefallen ist.«
Jahrelang wurde den großen Herstellern immer wieder vorgeworfen, Separatorenfleisch, also ein billiges Restprodukt, heimlich in den Aufschnitt zu mischen – ohne das wie vorgeschrieben auf die Packungen zu schreiben.
Täuschen Tönnies, Wiesenhof & Co. Supermarktkunden, indem sie minderwertigen Aufschnitt zu teuer verkaufen?
Gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk haben wir über Monate recherchiert: In einer Wurstküche, im Labor, in Supermärkten und bei den Großen der Branche. Die Ergebnisse könnten rechtliche Konsequenzen für einige Produzenten haben. Und Ihnen, als Verbraucherinnen und Verbraucher, dürften sie auch nicht besonders schmecken.
Mann
»Man ist verwundert, wie der Endabnehmer oder Verbraucher vorgeführt wird.«
Reporterin
»Was für einen Ruf hat die Fleischindustrie ihrer Meinung nach?«
Frau
»Keinen besonders guten. Deswegen gehen wir zum regionalen Metzger.«
Frau
»Aus den Resten wird also immer auch Wurst gemacht. Alles einmal durch den Fleischwolf und dann sieht man nichts mehr.«
Franz Voll beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Verbrauchertäuschung bei Wurstwaren. Hier bereitet der ehemalige Metzgermeister gerade eine hochwertige Geflügelbrühwurst zu: mit Hühnerfleisch, ein bisschen Wasser und Gewürzen. Aufschnitt aus dem Supermarkt kaufe er nie, der sei oft minderwertig, behauptet Voll.
Sein Vorwurf: Die Industrie mische billiges Separatorenfleisch unter, um die Produktionskosten für den Aufschnitt zu drücken und den eigenen Profit zu steigern. In der Wurstküche zeigt uns der ehemalige Lebensmittelkontrolleur, womit manche Hersteller ihre Ware angeblich strecken. Dieses sogenannte Separatorenfleisch hat Voll extra für uns über Kontakte zur Wurstindustrie besorgt.
Franz Voll, ehemaliger Metzgermeister
»Der Gesetzgeber hat auch ganz klar gesagt: Wer dieses Fleisch, Separatorenfleisch, verarbeitet, der muss das kennzeichnen. Der muss es auf der Packung schreiben: Hergestellt mit Separatorenfleisch. Wir hatten nur 40 Jahre lang das Problem, wir konnten es nicht nachweisen. Also hat auch keiner draufgeschrieben.«
Separatorenfleisch wird erzeugt, indem Maschinen Tierkörper oder grob zerkleinerte Knochen mit Fleischresten durch Siebe hindurchpressen. Knochensplitter und Knorpelteile bleiben größtenteils hängen, alle weichen Teile wie etwa Muskulatur, Fett und Bindegewebe werden abgepresst. Dabei entsteht eine breiartige Masse.
Befürworter dieses Verfahrens argumentieren: So wird möglichst viel vom getöteten Tier verwertet. Und gesundheitlich ist Separatorenfleisch unbedenklich. Aber: Laut Gesetz müsste es gekennzeichnet werden – und zwar nicht nur auf der Zutatenliste, sondern auch neben dem Produktnamen. Beides passiert so gut wie nie.
Franz Voll, ehemalige Metzgermeister
»Ja, das ist so eine Mischung zwischen Hundekacke und Silikon vom Fenster, klebt nur nicht ganz so schlimm an den Fingern. Aber man merkt schon, es ist völlig zerrissen. Es hat überhaupt keine Struktur mehr. Es ist ja auch kein Fleisch mehr. Es ist völlig zerrissen. Das Zeug ist einfach ekelhaft und in jedem Fall minderwertig.«
Verwurstet wird also, was sonst nicht zu gebrauchen wäre. Und das ist für die Industrie extrem günstig. Zum Vergleich: 1 Kilo Geflügelfleisch für die Wurstproduktion kostet laut Metzgermeister Voll derzeit rund 2,50 Euro. Separatorenfleisch hingegen nur 35 bis 50 Cent pro Kilo. Mischt man es unter, sinken die Herstellungskosten drastisch.
Das Problem: Bislang war es schwierig, Separatorenfleisch zweifelsfrei nachzuweisen. Fachleute versuchten entweder einen erhöhten Calciumgehalt festzustellen oder kleinste Knochensplitter zu finden. Doch beide Methoden lassen sich austricksen. Den Calciumgehalt können Hersteller über Verdünnung unter den Grenzwert senken. Und über moderne Siebe können sie selbst kleinste Knochenreste aus der Wurstmasse entfernen.
Voll kam nun eine andere Idee – zumindest für Geflügelwurst. Seine Überlegung: Für die Hersteller sind vor allem die Fleischreste interessant, die nach dem Ablösen des Muskelfleischs noch an der Wirbelsäule des Huhns hängen. Wird ein Separator genutzt, müsste laut Voll auch Bandscheibe aus der Wirbelsäule im Separatorenfleisch zu finden sein.
Franz Voll, ehemaliger Metzgermeister
»Hier drin haben wir ja die Bandscheiben. Und wenn das zerdrückt wird, weil die Bandscheibe ja auch ein sehr weiches Material ist, wird das Gott sei Dank mit abgepresst. Und das lässt sich auch nie verhindern. Egal, welche Einstellung man in der Maschine hat. Das heißt, ich habe immer diese Bandscheibenmaterialen drin. Weil es lohnt sich einfach nicht, jemanden hinzustellen, der das abpult. Das wäre völlig unwirtschaftlich.«
Zusammen mit Wissenschaftlern der Hochschule Bremerhaven ging Voll auf Spurensuche – und gemeinsam fanden sie ein Eiweiß, mit dem der Durchbruch für Geflügelwurst gelang. Aber dazu später mehr.
Zunächst produziert Franz Voll Blindproben, die die Forscher später entschlüsseln sollen: Und zwar vier Chargen Geflügelwürste, in die er jeweils gar kein Separatorenfleisch, 5 Prozent, 10 Prozent oder 20 Prozent Separatorenfleisch mischt. Die Würste schickt er ins Labor nach Bremerhaven.
In der Zwischenzeit gehen wir einkaufen – und zwar über Monate hinweg immer wieder, bei allen großen Supermarkt- und Discounterketten. Auch diese Proben lassen wir von den Forschern untersuchen. Dazu tüten wir die Wurstscheiben ein und schicken von jeder Sorte jeweils zwei Proben der gleichen Charge gekühlt ins Labor.
In Bremerhaven wollen wir nun die Methode überprüfen. Ihre Studie (mit dem neuen wissenschaftlichen Ansatz) haben die Forscher mittlerweile in einem renommierten Fachjournal veröffentlicht. Im Labor bereitet der wissenschaftliche Mitarbeiter die Wurstproben vor. Dazu werden sie zunächst zerkleinert, gefriergetrocknet und anschließend püriert.
Um nun das Eiweiß zu finden, das typisch für die Bandscheibe ist, wird ein spezielles Enzym in den Wurstbrei gegeben. Das sorgt dafür, dass es in Teilstücke zerlegt wird.
Anschließend wird in einem Massenspektrometer das Gewicht dieser Bausteine bestimmt und sortiert. So können sie identifiziert werden.
Finden die Forscher fünf Bausteine, die nur in dem gesuchten Kollagen Typ II alpha 1 vorkommen, steckt aller Wahrscheinlichkeit nach Hühner-Separatorenfleisch im Aufschnitt.
Stefan Wittke, Hochschule Bremerhaven
»Jetzt sind wir gespannt!«
Ergebnisabgleich: Ist es Professor Wittke gelungen, die Würste, zu erkennen die Franz Voll absichtlich mit unterschiedlich hohen Konzentrationen von Separatorenfleisch vermischt hat?
Stefan Wittke, Hochschule Bremerhaven
»So, der Zettel. Wir haben die Probe eins. Das ist die, die bei uns die mittlere ist. Das ist die mittelhohe Konzentration. Wir haben die Probe zwei, wo wir sagen, das ist unser Verdachtsfall mit den 5 % und die Probe drei, die ganz eindeutig positiv ist und 20 % enthalten soll. Perfekt! Yes. Okay.«
Der Test hat also funktioniert. Jetzt sind wir gespannt auf die Ergebnisse unserer eingeschickten Proben. Was steckt drin in der Supermarkt-Wurst?
Vorher aber versuchen wir Hintergründe über den Einsatz von Separatorenfleisch in der Lebensmittelindustrie zu recherchieren. Tatsache ist: Offen spricht niemand darüber. Wie viele Tonnen Separatorenfleisch in Deutschland überhaupt produziert werden – dazu konnten uns weder die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung noch die jeweils zuständigen Landesministerien umfassend Auskunft erteilen.
Dass es trotzdem verwendet werden könnte, legen die Ergebnisse aus Bremerhaven nahe.
Von den 30 Aufschnittproben, die DER SPIEGEL gemeinsam mit dem NDR eingereicht hat, waren neun positiv, darunter bekannte Markennamen wie Gutfried, Edeka Bio, oder Rewe Beste Wahl. Auf den Zutatenlisten der Verpackungen stand Separatorenfleisch kein einziges Mal.
Stefan Wittke, Hochschule Bremerhaven
»Klar, da kann man natürlich jetzt kommen und sagen: Ja, tut uns leid, wir haben ein bisschen zu viel Knorpel reingeschmissen. Aber das ist der Grund, weswegen wir gesagt haben: Nee, dann gehen wir ganz konservativ ran. Wir sagen nicht: wir gucken nach kleinen Mengen, sondern wir gucken nach großen Mengen und erst ab großen Mengen sagen wir: Ja, es ist drin.«
Verbraucherschützer sind entsetzt: Sollte sich der Verdacht bestätigen, sei das »Betrug an den Verbraucherinnen und Verbrauchern«, sagt die NGO Foodwatch.
Matthias Wolfschmidt, Foodwatch
»Die Ware ist nicht verkehrsfähig, müsste aus den Regalen geräumt werden und entweder entsprechend korrekt gekennzeichnet werden oder dürfte überhaupt nicht mehr verkauft werden.«
Und Juristen sprechen sogar von einer drohenden Strafverfolgung wegen Betrugs – sollte sich der Verdacht bewahrheiten und die Firmen vorsätzlich handeln.
Und was sagen die Hersteller?
Immerhin fünf der neun positiv getesteten Produkte stammen von einem Betrieb der Tönnies-Unternehmensgruppe. Außerdem waren zwei Wurstsorten von Franz Wiltmann und je ein Produkt von Wiesenhof und der Mecklenburger Landpute dabei.
Keines der Unternehmen stimmte einem Interview mit uns zu. Schriftlich dementierten alle den Einsatz von Separatorenfleisch.
Mecklenburger Landpute:
»In unseren Produkten wird keinerlei Separatorenfleisch eingesetzt.«
Tönnies:
»Wir setzen kein Separatorenfleisch in den genannten Produkten ein.«
Franz Wiltmann:
»Bei der Herstellung der genannten Produkte wurde und wird kein ›Separatorenfleisch‹ eingesetzt.«
Wiesenhof:
»In den Wurst-Produkten der Marke WIESENHOF wird oder wurde kein Separatorenfleisch eingesetzt.«
Wiesenhof legte dazu auch eidesstattliche Versicherungen vor. Zudem würden regelmäßige Kontrollen durchgeführt, auf Basis amtlich anerkannter histologischer Untersuchungen sowie Überprüfungen des Kalzium-Gehaltes. Dagegen sei das Testverfahren der Hochschule Bremerhaven bislang nicht mehr als ein neuer wissenschaftlicher Ansatz. Die vermeintlichen Separatorenfleisch-Marker fänden sich laut Wiesenhof auch in anderen Fleischkomponenten, gerade in Sehnen. Zudem sei der Test nur für Hähnchen entwickelt, es sei völlig unklar, ob er auch auf Pute übertragen werden könne.
Doch Tatsache ist: Sämtliche von SPIEGEL und NDR eingereichten Produkte beinhalten auch Hähnchen. Und in Sehnen kommen laut Studie zwar Kollagene vor – nicht aber das spezifische Eiweiß Kollagen Typ II alpha 1, auf das sich die Laboruntersuchungen beziehen.
Staatliche Lebensmittelschützer schöpfen nun Hoffnung: Matthias Denker vom Landesamt für Lebensmittelsicherheit in Rostock kann sich einen flächendeckenden Einsatz der neuen Methode in Zukunft vorstellen. Er glaubt, dass sie das Verhalten der Wurstproduzenten nachhaltig verändern könnte.
Matthias Denker, Landesamt für Lebensmittelsicherheit in Mecklenburg-Vorpommern
»Es ist ja wie immer so in der Lebensmittelüberwachung ein Hase-und-Igel-Spiel. Es sind ja nicht alles böse oder schwarze Schafe. Aber die, die irgendwas versuchen, solange es nicht auffällt, machen sie es. Wenn wir einen Nachweis führen können, dann verschwindet so was vielleicht ganz schnell.«
Wer als Verbraucher bereits jetzt Separatorenfleisch im Aufschnitt vermeiden will, kann zumindest ein paar Tipps befolgen. Am sichersten ist es, zu einem Metzger zu gehen, der noch selbst produziert. In Lyoner oder Mortadella aus dem Supermarkt steckt hingegen offenbar besonders häufig Separatorenfleisch. Mit Kassler, Braten oder Hähnchenbrustfilet sind Kundinnen und Kunden eher auf der sicheren Seite.