Debatte über Waffenlieferungen in die Ukraine »Die Strack-Zimmermänner machen Balkon-Bellizismus«
Wie umgehen mit Putins Aggression? Und wie mit russischer Kultur in Deutschland? Darüber streiten Svenja Flaßpöhler und Wladimir Kaminer im Talk mit Markus Feldenkirchen. Die Highlights aus dem »Spitzengespräch«.
Markus Feldenkirchen: Wir reden jetzt über den richtigen, vermeintlich richtigen Umgang mit Putins Regime. Und Sie, Frau Flaßpöhler, haben, wie gesagt, diesen einen offenen Brief an den Bundeskanzler mit unterzeichnet. Erst unterzeichnet? Warum sagen Sie, die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ist der entscheidende Schritt zu viel?
Svenja Flaßpöhler: Die Frage ist ja wohin führt diese Dynamik, die wir jetzt schon seit einigen Wochen, Monaten beschreiten und in der ein Tabu nach dem anderen fällt? Am Anfang war es das Tabu, überhaupt Waffen zu liefern. Jetzt ist es das Tabu der schweren Waffen. Das heißt, das ist eine Dynamik, die fortschreitend ist. Wenn jetzt Putin noch weitergeht und er kann ja immer noch weitergehen, weil er immer noch die die Atom-Option hat, sei es nur, dass er eine testet, eine taktische Atomwaffe, irgendwo. Dann muss der Westen wiederum reagieren. Und wir haben jetzt diesen Brief verfasst, weil unser Eindruck war, dass Scholz diesen Schritt, jetzt schwere Waffen zu liefern, nicht wirklich begründen konnte. Zumindest konnte er nicht wirklich entkräften die Befürchtung, dass das zu einer atomaren Eskalation führen kann, sondern er hat es im Grunde genommen gemacht, in Abstimmung mit unseren Partnern. So heißt das ja immer, als wenn die Abstimmung mit unseren Partnern das Grundproblem in irgendeiner Form beheben würde.
Feldenkirchen: Sie haben einen Brief für die Lieferung schwerer Waffen unterzeichnet. Haben Sie keine Sorge vor einer Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg?
Wladimir Kaminer: Nein, ich sehe das genau umgekehrt. Wenn das Regime in Moskau sieht, wie groß die Angst ist, die er sät, mit einer Bedrohung mit Atomraketen, wird es natürlich immer weitergehen. Und er muss dann Europa oder Deutschland gar nicht besetzen, sondern ein Land, der sowieso niederkniet, muss man nicht besetzen. Das gehört dir schon per se. Da brauchst du überhaupt keine Waffen mehr anzuwenden. Die atomare Bedrohung funktioniert als Bedrohung. Also die Verwendung dieser Waffen ist sehr, sehr problematisch.
Flaßpöhler: Ich meine, ich weiß schon, dass man uns immer so Pazifismus vorwirft, aber ehrlich gesagt finde ich das, was die Stack-Zimmermänner hier machen - das ist Balkon-Bellizismus. Man sitzt hier im Trockenen, liefert Waffen und sagt So, jetzt verteidigt man unsere Freiheit. Also ich finde, die Nagelprobe ist doch, muss ich ganz ehrlich sagen, wäre ich bereit, mein Kind in einen Krieg zu schicken, mein Sohn? Und da kann ich ganz klar sagen: No way! Auf gar keinen Fall. Und ich glaube, diese Frage, die müssen wir uns doch hier stellen. Würden wir, wären wir eigentlich dazu bereit. Ansonsten ist das doch eine extrem bequeme Haltung.
Kaminer: Wir sind eindeutig nicht dazu bereit, in diesen Krieg einzusteigen. Das habe ich Herrn Scholz auch klar und unmissverständlich ausgedrückt. Es geht jetzt um militärische Hilfe. Wir müssen alles tun, um den Ukrainern Beistand zu leisten. Wir brauchen diese militärische Niederlage der russischen Armee. Und da steuert jetzt alles, auch hier, ganz egal, was der Präsident an der Parade erzählt.
Feldenkirchen: Wie sähe denn die Niederlage aus?
Kaminer: Leider in der Situation des Krieges, braucht man als Voraussetzung für ein Gespräch.
Flaßpöhler: Das sehe ich total. Man braucht eine militärische Stärke. Das glaube ich auch. Das braucht die Ukraine. Ohne das können Sie nicht..
Feldenkirchen: Aber Sie sagen auch irgendwann ist mal gut mit der Unterstützung.
Flaßpöhler: Wir müssen den Moment beim Schopfe packen, wo beide schwach sind. Da müssen wir dann wirklich mit aller Kraft zu einem Waffenstillstand hinarbeiten, mit aller diplomatischen Kraft, um dann natürlich weiter zu verhandeln. Und es steht in unserem Brief eben nicht drin Die Ukraine soll kapitulieren, sondern es geht um einen Kompromiss, der für beide Seiten akzeptabel ist. Darum geht es. Und die Frage ist nur wann? Wann beschreitet man diesen Weg? Und da sagen wir lieber zu früh als zu spät.
Feldenkrichen: Es gab zu Beginn dieses Krieges immer wieder Berichte von Diskriminierungen gegenüber russischstämmigen Menschen in Deutschland, zum Beispiel gegen russische Restaurants. Haben Sie so etwas wie Russophobie auch schon erlebt seither, Herr Kaminer?
Kaminer: Das ist wirklich schrecklich, muss ich ehrlich sagen. Ich bin darauf hin sehr oft gefragt worden, interviewt worden. Stimmt das? Haben Sie das schon erlebt? Also ich als russischstämmiger Mensch. Es gibt extra eine Seite im Internet, bei der russischen Botschaft eingerichtet: "Hating Russia", wo alle Fälle zusammengefasst werden. Ich bin auf diese Seite gegangen und von dort, normalerweise sind das anonyme Menschen. Ich fand dort Menschen, die ich gut kenne. Da stand der Inhaber von Lebensmittelladen Kasatschok wird bedroht, weil er mit Putin sympathisiert.
Feldenkrichen: Und es stimmte nicht?
Kaminer: Das ist mein Nachbar. Dieser Laden, das ist ein Ukrainer. Der wünscht Putin in der Hölle zu schmoren, hat alle Produkte umbenannt und verkauft nur noch ukrainische Produkte. Oder der Chef vom Pasternak, vom Restaurant. Der hat mehr Geflüchteten Hilfe geleistet als das ganze Auswärtige Amt in Deutschland. Sie lügen wie wie sie atmen, sind das wirklich unglaubliche Bullshit. Auch mit diese Cancel Culture, das russische Kultur nicht mehr willkommen ist, dass irgendwo in Zagreb Tschaikowsky verschoben werden musste.
Feldenkirchen: Das haben Sie aber mal beklagt, Frau Flaßpöhler, in dem Sie sagten: Im Moment glauben viele, die Freiheit zu verteidigen, indem sie alles Russische aus unserer Kultur verbannen.
Flaßpöhler: Ja, das war ja auch ganz am Anfang, war das ja auch, konnte man dabei ja zusehen. Das war doch eine, eine Reaktion, die man ganz weitverbreitet hierzulande beobachten konnte. Und das finde ich, das finde ich sehr kritikwürdig. Ich meine, das sind Künstler, die mit Putin möglicherweise überhaupt nichts am Hut haben. Die sind einfach russisch. Also warum man jetzt alles Russische verbannen muss? Weil ein Autokrat oder sagen wir mal besser Diktator, ein Kriegsverbrechen begeht.
Kaminer: Meine Mutter gilt jeden zweiten Tag in die Berliner Philharmonie. Da spielen nur Russen. Petrenko, der Dirigent, ist ein Russe, der beschuldigt fast nur russische Musiker. Sie haben nichts anderes im Programm als Tschaikowsky.
Flaßpöhler: Es wurde doch ganz viel abgesagt.
Feldenkirchen: Nennen Sie mal ein Beispiel für gecancelte Russen in der Kultur.
Flaßpöhler: In Essen ist ein Theaterstück abgesagt worden, weil es sich um ein russisches Theaterstück handelte. Das ist, da gibt es mehrere Beispiele.
Kaminer: Ich würde das so sagen: Möglicherweise, es ist ja nicht vom Staat gefordert. Wir machen per Dekret jetzt keine russische Kultur mehr in unserem Land. Möglicherweise haben da vor Ort Menschen zurzeit einfach keinen Bock auf russische Kultur. Und das kann ich gut nachvollziehen.